Montag, 29. Juli 2013

Schiffbrüchig



Der nachfolgende Text ist entnommen dem 6. Kapitel unseres Buches "Supermacht Frau / Sind die Männer noch zu retten", in dem meine Mit-Autorin Ingrid Schumacher und ich versuchen, an die Stelle eines Geschlechterkampfes wieder Wege in eine Geschlechterkultur aufzuzeigen.

"Es dauerte Wochen, bis ich - nach meiner Genesung - beginnen konnte, mich mit ihnen zu verständigen. Zeichnungen, mit einem Stöckchen in den Staub der Hütte gemalt, erwiesen sich dabei als hilfreich. Wir lachten, wenn es mir gelungen war, Wörter richtig auszusprechen, Wörter für "Frau", für "Mann", für "Boot", für Früchte, die sie mir zum essen brachten, für Fleisch, das sie mir brieten, und die Kokosmilch, an der ich meinen Durst stillen konnte.

Was mir auffiel war, dass stets, wenn ich in meinen Kritzelbildern einen Mann oder eine Frau zeichnete, Atala schnell - als gälte es, ein Unheil abzuwenden oder einem Gott zu huldigen - eine Acht daneben malte. Diese Acht, sie spielt auf dieser Insel - oder war es ein unbekannter Kontinent? - eine bedeutsame Rolle. Die Woche hat zum Beispiel nicht sieben, sondern acht Tage. An jeder Hütte und an vielen Bäumen war die Acht eingeritzt, oft auch in liegender Form, so wie unser Zeichen für das Unendliche. Prachtvoll wurden diese Schlingen mit Farben, mit Blüten oder goldenen Nägeln dekoriert.

So lange ich noch in der Hütte lag, fragte ich die Frauen oft nach den Männern. Ich hörte ja draußen deren Stimmen. Jungen und Mädchen kreischten unweit der Hütte beim Spiel. Statt einer Antwort wiegte Atala den Kopf, nahm meine Hände, legte sie auf ihren Leib, auf ihre Brüste und das Ypsilon ihres Schoßes. Oder sie küsste mich mit dem warmen Hauch ihres Atems. "Mann-Frau" schien sie dabei zu sagen, oder auch einmal "Frau-Mann", wenn sie mich berührte, meine Männlichkeit umschloss oder Öl darüber goss und es dann mit großer Sorgfalt und Andacht von dort aus über den ganzen Körper verteilte.

Des Rätsels Lösung erfuhr ich erst viel später, als es mir gelang, mit ihren Stammeseltern Freundschaft zu schließen. Auch das ist typisch, dass sie keinen Häuptling oder eine Königin wählen. Stets liegt die Führung ihres Staates in den Händen eines Mannes und einer Frau. Sie regieren als Paar und gelten als Hort der Liebe und Weisheit. Und das war es, was sie mir als höchste Botschaft ihres Glaubens offenbarten:

Als Gott diese Erde schuf, da waren Mann und Frau ein Einziges - symbolisiert durch einen Kreis, die Ganzheit, nach dem Sinn des Schöpfers.
Am siebten Tage war das Werk vollbracht. An jenem Tage ruhte Gott, ganz wie wir's lernen in der Christenheit. Und eben jene Ruhe nutzte Satan, um mit einem scharfen Blitzstrahl jede Harmonie zu spalten. So trennte er als erstes die Ganzheit Mann+Frau. Die Schwefelgase, die mit dem "spaltenden Feuer" - so ihr Wort für Blitz - vom Himmel herabfuhren, überzogen die Erde mit ätzender Feindschaft, so zwischen Tieren, die bis zum siebten Schöpfungstag friedlich miteinander grasten. Feuer entzündete sich und brachte Unheil über die ganze Kreatur. Berge explodierten, der Himmel stürzte ein. Von diesem ohrenbetäubenden Krachen - das sich nach ihrem Glauben in jedem Gewitter wiederholt - wachte endlich der Herrgott auf. Erschrocken über die Verwüstungen fügte er an einem achten Schöpfungstag, so gut es ging, die gespaltenen Teile wieder zusammen. Mit dem Lasso der Acht gelang es ihm, die zwei nun von einander getrennten Kreise des Weiblichen und Männlichen wenigstens wieder miteinander zu verknüpfen. Die Menschen aber erhielten den Auftrag, die Schöpfung zu heilen und zu vollenden, indem sie die vom Satan zersprengten Teile wieder in Harmonie zusammenfügen. So gilt der Liebesakt von Frau und Mann als Gottesdienst. Und alles, was durch den Frevel des Satans in Feindschaft entbrannte, soll nun im Zeichen der Acht versöhnt werden.

Seither glauben jene Menschen von Octo, dass Leib und Seele von Mann und Frau getrennt wurden: Der Mann lebe mit Teilen der Seele und des Leibes der Frau, die Frau mit Teilen der Seele und des Körpers des Mannes. Im Streben und auf der Suche nach der ursprünglichen Harmonie sehen daher die Männer von Octo in den Frauen und Mädchen einen Teil ihrerselbst, und sie gehen hin, um  Seele und Körper Freude zu bereiten, durch Gesang, durch Zärtlichkeiten und alle schönen Spezereien, durch Streicheln, durch Liebe und die innige Vereinigung der Körper. Und jede Frau verehrt im Manne auch ihre Seele und ihren Leib. Und sie pflegt diese Seele, indem sie dem Manne Freude bereitet. Freude und Liebe gelten als Nahrung aller Seelen. "Liebe", sagte Atala, "ist meine Sehnsucht nach Deiner Fröhlichkeit - und damit nach meiner!" 

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