Samstag, 28. September 2013

Kriminalität, Drogen, Gewalt - wer schrieb dies und wann?



„Wenn man die gesellschaftliche Situation in den europäischen Industrieländern betrachtet, so lassen sich einige besorgniserregende Symptome von Fehlverhalten (insbesondere bei Jugendlichen) feststellen: steigende Kriminalität, zunehmende Drogenanfälligkeit, starke Ideologieanfälligkeit der Jugend sowie ihre Neurotisierung. Die Kriminalität tritt immer öfter auch schon bei Kindern auf und ist immer häufiger mit Gewaltanwendung gegen Personen verbunden. Erschreckend ist die Häufigkeit vordergründig sinnloser Akte der Zerstörung, die aus dem Empfinden der Sinnlosigkeit des Lebens resultieren.
Der stark angestiegene Drogenkonsum steht in Beziehung zu der steigenden Kriminalität und hat ähnliche Ursachen. Er erzeugt ein künstliches Innenleben, das imstande ist, das Gefühl der Sinnlosigkeit der eigenen Existenz ebenso zu verdrängen, wie dies die kriminelle Handlung tut. Auch die ideologische Polarisierung der heutigen Jugend hat einen nicht zu unterschätzenden Bezug zum Verlust des Sinns des Lebens, bietet sie doch Ersatzlösungen für den Wunsch nach Sinngebung an. Jedoch birgt die Ideologisierung die Gefahr in sich, dass sie die Gemeinschaft zerstört, was besonders angesichts des hohen Technisierungsgrades der heutigen Gesellschaft äußerst gefährlich ist. Die wachsende Neurotisierung schließlich hat insofern schwerwiegende Konsequenzen, als sie beim einzelnen Menschen zum Verlust der Liebesfähigkeit führt. Sie trägt damit dazu bei. dass die Entwicklung der eigentlichen menschlichen Anlagen gehemmt wird .........
Besonders bezeichnend ist auch der Zerfallsprozess, dem die Familie ausgesetzt ist. Er hängt eng zusammen mit der Erscheinung, dass die Leitbilder von Mann und Frau aneinander angepasst werden. Diese Entwicklung führt zu einer wachsenden Verhaltensunsicherheit der Eltern, die sich besonders negativ auf die Erziehung der Kinder auswirkt.
Auch das Wirtschaftssystem übt einen gravierenden Einfluss aus: Der fortlaufende Anreiz, Bedürfnisse möglichst rasch und umfassend zu befriedigen, führt zu einer Fixierung der Infantilität bzw. zu einer Regression in die Infantilität.“

Lassen wir uns unsere Kultur kaputt machen?
Dieses Zitat befindet sich im Buch „Supermacht Kids / Lassen wir uns unsere Kultur kaputt machen?“ von Ingrid Schumacher und mir (bei Amalthea-Signum Wien – München 2012, 174 S. geb.). Im SPIEGEL SPEZIAL vom 25.9.2013 finden wir ein Gespräch mit dem Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff („Ein furchtbares Leben“) über die emotionale Unreife, die fehlende Empathie und den akuten Seelennotstand jenes Teils der heutigen Kids zwischen 8 und 18 Jahren, die wir im Buch als Ü-Kids bezeichnet haben. Ü ist die Abkürzung von Überforderung. Diese Kinder und Jugendlichen können den Anforderungen der heutigen Gesellschaft – Fleiß, Lernbereitschaft, Zuverlässigkeit, Verantwortung, Wertebewusstsein u.a. – nicht nachkommen, weil sie im psychischen Wachstum zurückgeblieben sind, während sie zu Mordskerlen herangefüttert und „gepampert“ wurden. Nun widmet sich auch die SZ dem Phänomen der Gewalt in den Beziehungen Jugendlicher. In unserem Buch gehen wir das Problem umfassend an.

Wen hat der WORTWERFER zu Anfang zitert? Ich entnahm diesen Absatz dem Buch „Krank an der Gesellschaft“ (Stuttgart 1973) von Prof. Dr.theol. und Dr.med. Rudolf Affemann, dem damaligen Leiter des Instituts Mensch und Arbeit, Stuttgart.
Seit 40 Jahren haben sich die Verhältnisse nur verschlimmert. Die Gründe lesen Sie in unserem Buch.

Mittwoch, 4. September 2013

Ist das die Zukunft?





Der WORTWERFER war zur falschen Zeit im Urlaub. Denn in diesen Tagen ist etwas Schreckliches passiert: Die Wohnung meiner so plötzlich verstorbenen Mit-Autorin Ingrid Schumacher musste auf einmal schnellstens geräumt werden. Ingrid hatte beim Umzug ins Wohnstift die wertvollsten Bücher aus ihrer umfangreichen Bibliothek mitgenommen. Welt-Autoren von Rang und Namen, Klassiker, Romantiker, Moderne in kostbaren Editionen musste sie um sich haben – und hatte sie ja auch verinnerlicht. Ja, wenn man täglich seine Augen an den Buchrücken vorbei gleiten lässt, diesen und jenen Band kurz in die Hand nimmt, aufblättern lässt und sich fest liest, dann lebt man mit der Literatur. Sie ist Lebenselixier. Und wie stirbt man heute damit?

Bücher in den Müll?
Die Leute, die die Wohnung ausgeräumt haben, hatten offenbar keinen blassen Schimmer. Die Bücher kamen vermutlich in den Sperrmüll. Selbst die von ihr selbst verfassten Bücher, die ich erbeten hatte, sind verschwunden. Irgendjemand verkauft schon seit einiger Zeit ihre Bücher in Amazon, der keinerlei Verbreitung- oder Nutzungsrechte hat und nie einen Pfennig oder Cent an Ingrid Schumacher gezahlt hat. Ist das die Zukunft?
Als wir aus dem Urlaub zurück kamen, machte die WOCHENEND-Beilage der Süddeutschen Zeitung mit einer Seite über den neuen Minimalismus auf: Heute hat man fast gar nichts mehr. Nur noch soviel, dass man von einem Tag zum anderen von einem Platz zum anderen, von einem Land zum anderen, von einem Job zum anderen umziehen kann. Übertrieben formuliert: eine Zahnbüste, ein Handy und einen Laptop. Vielleicht im Rucksack noch einen Kindle, in dem man 1000 Bücher speichern kann. Allenfalls zerreißt man Bücher, um sie zu scannen. Die Zukunft?
Ich stelle mir Ingrids Bücherregal vor: Die Weltliteratur von A bis Z, kostbare Eichendorff-Ausgaben, Heine, Goethe, Carossa, Benn, hundert Jahre alte Bände mit Goldprägung, Erstausgaben, ach, jede Aufzählung scheitert und schmerzt. Ist es die Zukunft, dass man alle diese Werke im Kindle hat? Tolstoi? Shakespeare? Beaumarchais? Huxley? Auf Knopfdruck? Und sonst nichts?
Wäre ich nicht im Urlaub gewesen, ich stünde jetzt vor zehn Bücherkartons, in einem Haus mit geschätzten 3000 Büchern. Natürlich gelangt man zu schwindelerregenden Beträgen, würde man die Fläche der Bücherschränke und Regale umrechnen auf eine kalkulatorische Miete mal vermutliche Lebenszeit.
Ich erinnere mich an eine Diskussion mit einem russischen Altersforscher, der die These vertrat, der Mensch altere viel stärker als physisch dadurch, dass ihm seine Umgebung, die Kultur, die Lebensart und Sitten zunehmend fremd werden und er so nicht mehr leben möchte. Als ich erfuhr, dass Ingrids Bücher weg sind und niemand weiß, was aus ihnen geworden ist, da war sie noch einmal gestorben – und ich ein bisschen mit.