Am deutschen Wesen?
Da bin ich wieder, der WORTWERFER, nach langer Zeit. Ich
werde ja auch der „Ziele-Siegert“
genannt, weil ich mich in meiner Unternehmenspraxis, bei meinen Beratungen,
Trainings und Coaching schwerpunktmäßig auf das Definieren und Erreichen
lohnender Ziele konzentriert hatte – und habe.
Erfolgserlebnisse
sind der höchste Motivator (nach Herzberg). Erfolgserlebnisse sind
erreichte Ziele. Ohne Ziele – keine Treffer – keine Erfolgserlebnisse. Diese
Grundregel habe ich auch in meinen diversen Fachbüchern vertieft (www.ziele-siegert.de).
Was sind das für Ziele? Für mich als Dipl.Kfm. und Dr. rer.
pol. mit einem protestantisch-preußischen Vater war das eigentlich nie eine
Frage. Ziele, das ist unternehmerischer, wirtschaftlicher, beruflicher Erfolg,
messbar letztlich in Geld. Oder in allem,
was man sich für Geld leisten kann.
Griechenland brachte
das Gerüst ins Wanken. Immer häufiger diskutieren wir in privaten Kreisen,
im PresseClub, im Biergarten auf „europäischer Ebene“: Haben eigentlich alle Europäer wenigstens ungefähr die gleichen Ziele? Gibt
es landestypische Lebensziele? Für uns Deutsche war klar: Haus, Auto,
Segelboot, Pferde, Oper, Festspiele, weite Reisen. Um das zu erreichen,
arbeiten wir fleißig und effizient. Symbol:
das Laufrad!
Für die Franzosen
sieht das schon anders aus: Der Genuss,
das Essen, der Wein, angeblich die Liebe stehen im Fadenkreuz. In einem
kleinen, vertrauten, wenig bekannten Restaurant gut, ausgiebig, in Ruhe essen
und trinken.
Für den Italiener,
wenn es ihn gibt, und die Italienerin ist die Piazza die Bühne des Lebens. Dort
spielt sich das Leben ab. Dort möchte man sich in Grandezza präsentieren, elegant und stilvoll gekleidet. Vor dem
Publikum, das dort den Espresso oder Cappuccino nimmt.
Und nun der Grieche! Mit der deutschen Efficiency (man mag
mir dieses Neudeutsch verzeihen) haben sie nichts am Strohhut. Wozu? Braucht’s
das zum Glücklichsein? Oder doch mehr Muße,
um im Schatten vor der Taverne über den Sinn des Lebens nachzudenken und den
Schiffen, den teuren weißen Yachten nachzuschauen, die reinkommen und
hinausfahren. Die bringen das Geld.
Alles sehr holzschnitthaft. Hier werden Klischees
nachgezeichnet. Zugegeben. Deshalb falsch? Glauben
wir tatsächlich, den Franzosen, den Italienern und Griechen das deutsche
Laufrad exportieren zu können? Wir haben die Spanier, Portugiesen und
andere noch gar nicht in unsere Kreise aufgenommen. Natürlich reden wir uns
damit raus: Von nichts kommt nichts.
Einer muss das Geld verdienen, muss für Qualität, für Ordnung und Infrastrukturen
sorgen. Aber gleich so total?
Warum reisen Deutsche so gern nach Italien? Nach
Griechenland? Nach Spanien? Nach Frankreich? Nur der Sonne wegen? Am deutschen
Wesen wollen wir selbst nicht so recht genesen.
Aber das hat durchaus ernste Folgen: Daraus erwächst kein europäisches Bewusstsein, nicht der Stolz, ein
Europäer zu sein. Diese Zeiten sind vorbei. Vergangene Jahrhunderte waren
viel europäischer. Die Musik war grenzenlos. Europäische Parkanlagen entstanden
in Wörlitz, in Muskau, in Sanssouci, in
Paris, in England. Baustile – europäisch! Literatur kennt keine Grenzen! Und
dann preschen die Deutschen davon. Schneller, effizienter, rationeller,
zeitsparender, Output, Output, Output! Alles im DIN-Format.
„Atala arbeitet bei
Citroën.“ Mit diesem schlichten Satz eröffnete Jean Fourastië einen Vortrag
über die Unbeliebtheit des Unternehmers. Atala ist eine Halbindianerin, die
zentrale Figur in einem Roman von Chateaubriand. In seiner These nimmt
Fourastië Atala als Gastarbeiterin mit nach Europa. Wird Atala dort glücklich?
Absolut nicht; denn sie muss den größten Teil ihres Lebensgefühls, der Farben
und Melodien, der Vogelstimmen und Düfte ihrer Heimat an der Garderobe abgeben,
wenn sie bei Citroën (als Prototyp des Industriebetriebs) arbeiten will. Sie
muss rechteckig, diszipliniert funktionieren. Weshalb soll sie den Unternehmer
lieben? Wegen des Lohns, den sie erhält – als Schmerzensgeld?
So wie Atala geht es vielen Europäern, wenn sie am deutschen
Wesen genesen sollen. Sie sehen vielleicht ein, dass sie im globalen
Konkurrenzkampf bestehen müssten. Aber Freude kommt dabei nicht auf. Und es
lebt sich besser mit einem Sündenbock namens Schäuble – noch dazu ein Schwabe
mit dem typischen Lebensziel „Spare, spare, Häusle baue!“