Mittwoch, 29. Juli 2015

Am deutschen Wesen?




Am deutschen Wesen?

Da bin ich wieder, der WORTWERFER, nach langer Zeit. Ich werde ja auch der „Ziele-Siegert“ genannt, weil ich mich in meiner Unternehmenspraxis, bei meinen Beratungen, Trainings und Coaching schwerpunktmäßig auf das Definieren und Erreichen lohnender Ziele konzentriert hatte – und habe.

Erfolgserlebnisse sind der höchste Motivator (nach Herzberg). Erfolgserlebnisse sind erreichte Ziele. Ohne Ziele – keine Treffer – keine Erfolgserlebnisse. Diese Grundregel habe ich auch in meinen diversen Fachbüchern vertieft (www.ziele-siegert.de).

Was sind das für Ziele? Für mich als Dipl.Kfm. und Dr. rer. pol. mit einem protestantisch-preußischen Vater war das eigentlich nie eine Frage. Ziele, das ist unternehmerischer, wirtschaftlicher, beruflicher Erfolg, messbar letztlich in Geld. Oder in allem, was man sich für Geld leisten kann.

Griechenland brachte das Gerüst ins Wanken. Immer häufiger diskutieren wir in privaten Kreisen, im PresseClub, im Biergarten auf „europäischer Ebene“: Haben eigentlich alle Europäer wenigstens ungefähr die gleichen Ziele? Gibt es landestypische Lebensziele? Für uns Deutsche war klar: Haus, Auto, Segelboot, Pferde, Oper, Festspiele, weite Reisen. Um das zu erreichen, arbeiten wir fleißig und effizient. Symbol: das Laufrad!

Für die Franzosen sieht das schon anders aus: Der Genuss, das Essen, der Wein, angeblich die Liebe stehen im Fadenkreuz. In einem kleinen, vertrauten, wenig bekannten Restaurant gut, ausgiebig, in Ruhe essen und trinken.

Für den Italiener, wenn es ihn gibt, und die Italienerin ist die Piazza die Bühne des Lebens. Dort spielt sich das Leben ab. Dort möchte man sich in Grandezza präsentieren, elegant und stilvoll gekleidet. Vor dem Publikum, das dort den Espresso oder Cappuccino nimmt.

Und nun der Grieche! Mit der deutschen Efficiency (man mag mir dieses Neudeutsch verzeihen) haben sie nichts am Strohhut. Wozu? Braucht’s das zum Glücklichsein? Oder doch mehr Muße, um im Schatten vor der Taverne über den Sinn des Lebens nachzudenken und den Schiffen, den teuren weißen Yachten nachzuschauen, die reinkommen und hinausfahren. Die bringen das Geld.

Alles sehr holzschnitthaft. Hier werden Klischees nachgezeichnet. Zugegeben. Deshalb falsch? Glauben wir tatsächlich, den Franzosen, den Italienern und Griechen das deutsche Laufrad exportieren zu können? Wir haben die Spanier, Portugiesen und andere noch gar nicht in unsere Kreise aufgenommen. Natürlich reden wir uns damit raus: Von nichts kommt nichts. Einer muss das Geld verdienen, muss für Qualität, für Ordnung und Infrastrukturen sorgen. Aber gleich so total?

Warum reisen Deutsche so gern nach Italien? Nach Griechenland? Nach Spanien? Nach Frankreich? Nur der Sonne wegen? Am deutschen Wesen wollen wir selbst nicht so recht genesen.

Aber das hat durchaus ernste Folgen: Daraus erwächst kein europäisches Bewusstsein, nicht der Stolz, ein Europäer zu sein. Diese Zeiten sind vorbei. Vergangene Jahrhunderte waren viel europäischer. Die Musik war grenzenlos. Europäische Parkanlagen entstanden in Wörlitz, in Muskau, in Sanssouci,  in Paris, in England. Baustile – europäisch! Literatur kennt keine Grenzen! Und dann preschen die Deutschen davon. Schneller, effizienter, rationeller, zeitsparender, Output, Output, Output! Alles im DIN-Format.

„Atala arbeitet bei Citroën.“ Mit diesem schlichten Satz eröffnete Jean Fourastië einen Vortrag über die Unbeliebtheit des Unternehmers. Atala ist eine Halbindianerin, die zentrale Figur in einem Roman von Chateaubriand. In seiner These nimmt Fourastië Atala als Gastarbeiterin mit nach Europa. Wird Atala dort glücklich? Absolut nicht; denn sie muss den größten Teil ihres Lebensgefühls, der Farben und Melodien, der Vogelstimmen und Düfte ihrer Heimat an der Garderobe abgeben, wenn sie bei Citroën (als Prototyp des Industriebetriebs) arbeiten will. Sie muss rechteckig, diszipliniert funktionieren. Weshalb soll sie den Unternehmer lieben? Wegen des Lohns, den sie erhält – als Schmerzensgeld?

So wie Atala geht es vielen Europäern, wenn sie am deutschen Wesen genesen sollen. Sie sehen vielleicht ein, dass sie im globalen Konkurrenzkampf bestehen müssten. Aber Freude kommt dabei nicht auf. Und es lebt sich besser mit einem Sündenbock namens Schäuble – noch dazu ein Schwabe mit dem typischen Lebensziel „Spare, spare, Häusle baue!“

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