Montag, 18. November 2013

Das Hohelied der Reparatur




Wer ist Wolfgang M. Heckl? Zunächst einmal – das verrät er in seinem Buch „Die Kultur der Reparatur“ (bei Hanser, München 2013) – ein leidenschaftlicher Bastler, Aufschrauber, Hineingucker, Reparierer. Auf vielen Seiten lässt er uns teilhaben an geradezu spannenden Abenteuern, wie er total veraltete, obsolete Maschinen und Gegenstände, aber auch Dinge des täglichen Bedarfs erfolgreich reparieren konnte. Glückshormone werden üppig ausgeschüttet.
Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl ist Generaldirektor des Deutschen Museums in München und Inhaber des Oskar-von-Miller-Lehrstuhls für Wissenschafts-Kommunikation an der TU München. Ausgezeichnet mit vielen internationalen Preisen.
Für eine stetig wachsende Zuschauerzahl des Sonntags-Stammtisches im 3. Programm des Bayerischen Fernsehens mit Helmut Markwort und dem Karikaturist Dieter Hanitzsch und Gästen ist Professor Heckl Stammgast von 11 bis 12 Uhr in ihren Wohnzimmern, mitschuldig an verspäteten oder angebrannten Mittagsmahlzeiten. Stets bringt er irgendein technisches Beutestück vom Flohmarkt mit, das er wieder zum Leben erweckt hat.

Reparieren ist für ihn nicht nur eine Weltanschauung, sondern auch und insbesondere ein Überlebenskonzept unserer ausgebeuteten Erde. Es geht einher mit einer Kampfansage an die bequeme und verdummende Wegwerfgesellschaft. Obsoleszenz heißt der Hauptgegner, geplante Zerstörung kurz nach Ablauf der Garantiefristen, oder modisch aufgedrängt, weil optisch veraltet, dem Hype geschuldet, weil Angeber stets mit dem Neuesten und Teuersten protzen wollen. Viele Geräte des Alltags lassen sich gar nicht mehr aufschrauben. Das ist gewollt, aus Sicherheitsgründen, aber auch, weil sie weggeworfen werden sollen. Und bei modernen Autos stoßen selbst leidenschaftliche Schrauber an ihre Grenzen.

Oft ist die Reparatur teurer als der Neukauf!

Reparieren steht aber auch gegen den Fortschritt; denn zumeist steckt in dem Neuen auch die neueste Technologie, die Miniaturisierung, die bessere Energieausbeute, eine Multi-Funktionalität, am prägnantesten erlebbar an der Entwicklung des Mobiltelefons. Der Wortwerfer hatte sich einst strafbar gemacht, als er mit einem Holzklotz-großen Prototyp aus dem Wiesbadener Kurpark mit seiner Frau im Rheinland telefonierte. Das Delikt: Störung des öffentlichen Funkverkehrs. Heute kann man mit dem Smartphone zwar auch noch telefonieren, aber es verfügt über gefühlte hundert weitere Fähigkeiten - zugefügt durch „Apps“ -, von denen die allermeisten nie oder seltenst gebraucht werden. Aber sie enthalten wertvollste, knappe Rohstoffe – und sollen dennoch im Interesse der Hersteller nach spätestens einem Jahr obsolet sein, weil dann das allerneueste Modell verkauft werden muss, um Arbeitsplätze zu sichern.

Das können wir uns nicht mehr leisten, warnt Professor Heckl. Um Arbeitsplätze zu sichern, kommt es zu gigantischer Überproduktion von fast allem – was dann unter Wert verwertet, verramscht und zerstört werden muss. Auch die vermeintliche Energie-Ersparnis erweist sich als trügerisch, wenn man die ganze Kette der Herstellung, vom Abbau der Rohstoffe, ihren Transport, ihre Transformation, ihre Vermarktung, Verpackung und schließlich die Kosten ihrer Entsorgung berücksichtigt – ihre Gesamt-Ökobilanz.

Zur Kultur der Reparatur gehören für Heckl auch die immer zahlreicheren Zusammenschlüsse von Bastlern und Reparierern in lokalen Repair-Cafés und ähnlichen Einrichtungen, von denen einige im Anhang aufgeführt sind – zugleich als erfolgreiche Reparaturbetriebe sozialer Beziehungen.

Aus der Leidenschaft fürs Reparieren wird die Notwendigkeit der Reparierbarkeit als Überlebenskonzept. Aus allen Kapiteln in Heckls Buch spricht diese Botschaft, die uns auch aus dem Geschehen der Natur eindrucksvoll erreicht: Reparieren ist das Grundprinzip, Wegwerfen der Tod. Ein lehrreiches, mahnendes, aber auch vergnügliches Buch – vorzüglich als Weihnachtsgeschenk für die junge Generation.

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