Mittwoch, 5. August 2015

Von Zwangsneurose befallen?




Von Zwangsneurose befallen?

Eine Zwangsneurose, so hat sich der WORTWERFER belehren lassen, ist eine innere Nötigung zur Durchführung gewisser objektiv sinnloser, zweckloser, in ihrem Ablauf meist streng ritualistisch geregelter Handlungen und Denkbewegungen. Mein Bloggen geht vielleicht in diese Richtung.

Ich wüsste allerdings nicht, auf welche aller männlichen Handlungen diese Definition so akkurat zugeschneidert wäre, wie auf jenen Drang, der jeden Freiberufler mindestens einmal im Jahr dazu bewegt, seinen Schreibtisch aufzuräumen. Dieses Reservat, das selbst im gründlichsten Frühjahrsputz eine Enklave peinlich gehüteter Anarchie darstellt, wird plötzlich aus heiterem Himmel der Schauplatz einer Katastrophe, ja,  es hat schon viel Ähnlichkeit mit einem Erdbeben.

Meist beginnt es damit, dass man etwas sucht. Zum Beispiel einen Brief oder einen Verlagsvertrag. Das ist allein wäre nur ein mittelschweres Problem. Nach einer Stunde hat man die Aktenberge soweit umgegraben, dass man dabei viele andere verschollen geglaubte Schriftstücke zu Tage gefördert hat – den Vertragsverlag allerdings noch nicht. Jetzt fehlt jedoch auch noch der dunkelblaue Taschenrechner, der einzige, mit dem man auf einen Klick DM in € und umgekehrt berechnen kann. Das ginge auch mit den vielen anderen Taschenrechnern in der Schublade, aber nicht mit einem Klick. Der hat doch immer in dieser Schublade gelegen. Schließlich wurde er dort noch vor Kurzem gesehen. Er muss dort sein. Also wird ausgeräumt. Ein alter ehrwürdiger Rechenschieber, vergilbte Tesarollen, zahllose Kugelschreiber, Radiergummi, Büroklammern für alle Papierstärken, Bleistifte, Spitzer, Anstecknadeln, Brillenputztücher, ausgetrocknete Reklame-Markierstifte in allen Farben in einem schönen Etui, Erinnerung an irgendeine Messe. Sogar noch ein leeres Tintenfass. Aber nicht der dunkelblaue €/DM-Rechner. Am besten ist es, man kippt die ganze Schublade aus und ordnet sie von Grund auf völlig neu. Die Bleistifte müssen gespitzt, die Kugelschreiber auf ihre Kugelschreibe hin geprüft werden. Ordnung ist, wenn jedes Ding an seinem Platz ist, der Platz dafür der richtige – und sich das Ding immer an diesem Platz befindet. Wer diese Definition definiert hat, stand wahrscheinlich noch nie vor der komplexen Herausforderung, eine Schreibtischschublade (wahlweise eine Damenhandtasche) zu ordnen.

Ach so – der Verlagsvertrag! Es hilft wohl alles nichts, der Bazillus greift nun vom Schreibtischgewühle jetzt auch auf die Aktenschränke über. Auf dem Tisch mischen sich Utensilien mit Dokumenten, und zwar ziemlich neue und solche mit DM-Beträgen und Schreibmaschinenschrift sowie Durchschlägen mit Kohlepapier. Die Beträge könnte man jetzt mit einem Klick umrechnen, wenn …. Und der Verlagsvertrag ist definitiv nicht in diesem Aktenschrank. Das heißt, dass das ganze Büro mal gründlich umgekrempelt werden müsste. So kann es ja nicht weitergehen.

Jetzt ist jeder Zweifel beseitigt: Mich hat eine Zwangsneurose befallen, eine Art Waschzwang, ein Fetzen nicht bewältigter Grundschuljahre aus jenen Tagen, da ich den Start in ein neues Schuljahr nur mit Mamas Hilfe in letzter Minute hin bekommen habe mit gespitzten Griffeln, sauberem Tafellappen, rot leuchtendem Schwämmchen und fettfreier Schiefertafel. Heute sieht es jedoch in den gigantischen Schulranzen meiner Enkel ebenso aus wie in meinem Büro. Man findet so gut wie nichts – außer Papas dunkelblauen Taschenrechner, aber natürlich nicht den Verlagsvertrag. „So was speichert man doch heute im Computer!“ weiß der Junior. Nickend  erinnere ich mich daran, dass es ihn auf Papier vermutlich noch nie gab, sondern nur als Mail, gespeichert im PC. Oder gelöscht. Weil man ja auch im Computer immer mal wieder die Platte putzen muss. Aber das mit dem Büro aufräumen, hätte man sich wirklich sparen können.

Wahrscheinlich macht der WORTWERFER auch beim Worte werfen alles falsch, weil er keine klare Linie einhält, nur ein Sammelsurium von irgendwelchen Themen. Vielleicht müsste da mal aufgeräumt werden. Sobald die nächste Neurose vorbei kommt.

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