Von
Zwangsneurose befallen?
Eine Zwangsneurose, so hat
sich der WORTWERFER belehren lassen, ist eine
innere Nötigung zur Durchführung gewisser objektiv sinnloser, zweckloser,
in ihrem Ablauf meist streng ritualistisch geregelter Handlungen und Denkbewegungen. Mein Bloggen geht vielleicht in
diese Richtung.
Ich wüsste allerdings nicht,
auf welche aller männlichen Handlungen diese Definition so akkurat
zugeschneidert wäre, wie auf jenen Drang,
der jeden Freiberufler mindestens einmal im Jahr dazu bewegt, seinen
Schreibtisch aufzuräumen. Dieses Reservat, das selbst im gründlichsten
Frühjahrsputz eine Enklave peinlich gehüteter Anarchie darstellt, wird
plötzlich aus heiterem Himmel der Schauplatz einer Katastrophe, ja, es hat schon viel Ähnlichkeit mit einem
Erdbeben.
Meist beginnt es damit, dass man etwas sucht. Zum Beispiel einen Brief oder einen Verlagsvertrag.
Das ist allein wäre nur ein mittelschweres Problem. Nach einer Stunde hat man
die Aktenberge soweit umgegraben, dass man dabei viele andere verschollen
geglaubte Schriftstücke zu Tage gefördert hat – den Vertragsverlag allerdings
noch nicht. Jetzt fehlt jedoch auch noch
der dunkelblaue Taschenrechner, der einzige, mit dem man auf einen Klick DM
in € und umgekehrt berechnen kann. Das ginge auch mit den vielen anderen
Taschenrechnern in der Schublade, aber nicht mit einem Klick. Der hat doch
immer in dieser Schublade gelegen. Schließlich wurde er dort noch vor Kurzem
gesehen. Er muss dort sein. Also wird ausgeräumt. Ein alter ehrwürdiger Rechenschieber,
vergilbte Tesarollen, zahllose Kugelschreiber, Radiergummi, Büroklammern für
alle Papierstärken, Bleistifte, Spitzer, Anstecknadeln, Brillenputztücher,
ausgetrocknete Reklame-Markierstifte in allen Farben in einem schönen Etui,
Erinnerung an irgendeine Messe. Sogar noch ein leeres Tintenfass. Aber nicht
der dunkelblaue €/DM-Rechner. Am besten ist es, man kippt die ganze Schublade
aus und ordnet sie von Grund auf völlig neu. Die Bleistifte müssen gespitzt,
die Kugelschreiber auf ihre Kugelschreibe hin geprüft werden. Ordnung ist, wenn jedes Ding an seinem
Platz ist, der Platz dafür der richtige – und sich das Ding immer an diesem
Platz befindet. Wer diese Definition definiert hat, stand wahrscheinlich
noch nie vor der komplexen Herausforderung, eine Schreibtischschublade
(wahlweise eine Damenhandtasche) zu ordnen.
Ach so – der Verlagsvertrag!
Es hilft wohl alles nichts, der Bazillus greift nun vom Schreibtischgewühle
jetzt auch auf die Aktenschränke über. Auf dem Tisch mischen sich Utensilien
mit Dokumenten, und zwar ziemlich neue und solche mit DM-Beträgen und
Schreibmaschinenschrift sowie Durchschlägen mit Kohlepapier. Die Beträge könnte
man jetzt mit einem Klick umrechnen, wenn …. Und der Verlagsvertrag ist
definitiv nicht in diesem Aktenschrank. Das
heißt, dass das ganze Büro mal gründlich umgekrempelt werden müsste. So kann
es ja nicht weitergehen.
Jetzt ist jeder Zweifel
beseitigt: Mich hat eine Zwangsneurose befallen, eine Art Waschzwang, ein
Fetzen nicht bewältigter Grundschuljahre aus jenen Tagen, da ich den Start in
ein neues Schuljahr nur mit Mamas Hilfe in letzter Minute hin bekommen habe mit
gespitzten Griffeln, sauberem Tafellappen, rot leuchtendem Schwämmchen und fettfreier
Schiefertafel. Heute sieht es jedoch in den gigantischen Schulranzen meiner Enkel
ebenso aus wie in meinem Büro. Man findet so gut wie nichts – außer Papas
dunkelblauen Taschenrechner, aber natürlich nicht den Verlagsvertrag. „So was
speichert man doch heute im Computer!“ weiß der Junior. Nickend erinnere ich mich daran, dass es ihn auf
Papier vermutlich noch nie gab, sondern nur als Mail, gespeichert im PC. Oder
gelöscht. Weil man ja auch im Computer immer mal wieder die Platte putzen muss.
Aber das mit dem Büro aufräumen, hätte man sich wirklich sparen können.
Wahrscheinlich macht der
WORTWERFER auch beim Worte werfen alles falsch, weil er keine klare Linie
einhält, nur ein Sammelsurium von irgendwelchen Themen. Vielleicht müsste da
mal aufgeräumt werden. Sobald die nächste Neurose vorbei kommt.
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